Das Geldsystem der Zukunft
Das Konzept des Vollgeldes hat krisenbedingt an Aktualität gewonnen.
von Werner Voß
Das im Jahre 2014 von Roman Huber und Thomas Mayer geschriebene Buch „Vollgeld: Das Geldsystem der Zukunft. Unser Weg aus der Finanzkrise“ hat an Aktualität nichts verloren, sondern vielmehr dazugewonnen, wenn man bedenkt, dass in Deutschland die Verbraucherpreise nun, wie zuletzt vor 51 Jahren, um nahezu 9 Prozent gegenüber dem Vorjahr gestiegen sind. Selbst wenn wir die derzeit von der Europäischen Zentralbank (EZB) und auch der Schweizer Nationalbank (SNB) angestrebte Inflationsrate von 2 Prozent zugrunde legen, bedeutet schon dieser Wert eine Halbierung des Geldwertes in 35 Jahren. Noch viel stärker hingegen hat die Asset-Inflation, wie beispielsweise bei Edelmetallen und Immobilien, in den letzten Jahren Fahrt aufgenommen. Das Buch entschleiert — für jedermann verständlich — die Mysterien um das Geld. Es verdeutlicht, dass das bestehende System Wachstumsdruck auf die Realwirtschaft ausübt, mit all den negativen Folgen für Gesellschaft, Klima und Umwelt.
Inhaltlicher Kern dieses Buches ist es, den magischen Mantel der Verschleierung unseres Geldsystems, insbesondere der multiplen Giralgeldschöpfung durch Privatbanken, herunterzuziehen. Studierte Volkswirte, Banker, Professoren sowie die meisten Lehrbücher verschweigen dieses Phänomen kollektiv, nach dem Motto: Was nicht sein darf, das gibt es auch nicht. Viele Bürger scheuen es, sich überhaupt damit zu befassen, weil es eben schwerfällt, etwas Neues zu denken. Denn alte Gedanken erzeugen Sicherheit, und die Furcht, man könnte was verlieren, schwindet somit. Eine Volksinitiative zum Vollgeld in der Schweiz im Jahre 2018 wurde mit 75 Prozent der Stimmen abgelehnt.
Erst die Zunahme des Giralgeldes, welches Anfang der 1960er-Jahre noch nahezu bedeutungslos war und nur zwischen Banken und Unternehmen existierte, ermöglichte das Phänomen der Giralgeldschöpfung von Privatbanken. Sie schöpfen neben der Zentralbank sozusagen Geld aus dem Nichts. Dies geschieht mit Kreditvergaben weit über die Einlagen hinaus. Diese Kredite gehen an die öffentliche Hand und an Private.
Über 90 Prozent unseres Zahlungsverkehres wird über Buch- beziehungsweise Giralgeld abgewickelt. Diese Form des Geldes ist jedoch kein gesetzliches Zahlungsmittel. Nur Münzen und Banknoten haben diesen Status. All unsere Einlagen, seien es Girokonten, Festgeldkonten oder sonstige, sind lediglich Forderungen an die Bank. Diese Regelungslücke oder auch Gesetzeslücke machen sich Privatbanken zunutze. Wie aber funktioniert das genau? Die Antwort hierauf ist genauso einfach wie genial:
„Der Geldschöpfer schreibt auf einen Gegenstand eine Zahl, das kann eine Münze, ein Blatt Papier oder im digitalen Zeitalter ein Computerprogramm sein. Fertig“ (Seite 60).
Das heutige Giralgeld kostet heute im Vergleich zu früheren Zeiten, als noch Münzen geprägt oder Banknoten gedruckt wurden, rein gar nichts. Lediglich eine Banklizenz ist erforderlich, sozusagen die „Lizenz zum Gelddrucken“. Die Giralgeldschöpfung ist somit nur ein Buchungsvorgang.
Die Buchung lautet dann „Forderungen an Verbindlichkeiten“. Der Bankmitarbeiter muss also auch nicht vorher in der Finanzabteilung nachfragen, ob noch genug Geld da ist, um einen Kredit vergeben zu können. Wohlgemerkt folgen aus dieser Kreditvergabe Tilgung und Zinsforderungen gegenüber dem Schuldner und sind obendrein mit dinglichen Sicherheiten unterlegt.
Die Mindestreserve, die eine Geschäftsbank bei Kreditvergabe an die Zentralbank abführen muss, ist als Geldmengensteuerungsfunktion im Prinzip wirkungslos. Sie beträgt in der Regel 1 bis 3 Prozent und kann wiederum durch selbst erzeugtes Geld sehr leicht abgeführt werden.
Diese im Prinzip unbegrenzte Geldschöpfung impliziert ein sogenanntes Schuldgeldsystem. Dies führt zu einem im Verhältnis zur Güter- und Dienstleistungserzeugung deutlich höheren Geldmengenzuwachs. Zwischen 1999 und 2012 kam in der Eurozone jedes Jahr 8 Prozent zusätzliches kaufkräftiges Geld — Geldmenge M1 (1) — in Umlauf. Das reale Wirtschaftswachstum betrug hingegen lediglich 1,4 Prozent pro Jahr.
Die öffentliche Hand beispielsweise im Euroraum ist maßlos bei privaten Banken und Investoren überschuldet und zahlt darauf gewaltige Beträge an Zinsen. Die 17 Euroländer hatten Ende 2011 Staatsschulden von zusammen 9.419 Milliarden Euro. Dies entspricht 87 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP). Die Eurostaaten zahlen dafür jährlich 286 Milliarden Euro Zinsen. Dieser Wert entspricht dem jährlichen BIP Österreichs. Im Jahre 2010 betrug in Deutschland der Schuldenberg von Bund, Ländern und Gemeinden 2.088 Milliarden Euro, 81 Prozent des BIP. Die Zinslast hierzu beläuft sich auf 65 Milliarden Euro jährlich. Das Berliner Institut für den öffentlichen Sektor fasst zusammen:
„Wir haben uns in Deutschland daran gewöhnt, Jahr für Jahr neue Staatsschulden als ganz normales Instrument zur Haushaltsfinanzierung aufzunehmen (…)“ (Seite 156).
Auch die öffentlichen Haushalte der Schweiz mit ihrer eigenen Währung sind natürlich verschuldet, jedoch aufgrund ihrer dezentralen und direktdemokratischen Strukturen deutlich geringer, man könnte auch sagen noch maßvoll verschuldet, nämlich im Jahre 2007 bei Bund, Kantonen und Gemeinden zusammen mit 226 Milliarden Franken. Dies entspricht knapp 42 Prozent des BIP. Im Jahre 2011 sank die Verschuldung auf 206 Milliarden Franken, 35 Prozent des BIP. Hierauf fallen jährlich 5 Milliarden Franken an Zinsen an. Die Steuererhebung sowie gegebenenfalls Kreditaufnahmen und deren Verwendung erfolgen maßgeblich vor Ort, in den Gemeinden, durch die dort lebenden Bürger.
Auch Unternehmen sind zunehmend verschuldet, manche überschuldet, und müssen zusehen, wie sie ihren Kapitaldienst — Zins und Tilgung — durch profitable Umsatzzuwächse bedienen.
Die unkontrollierte Geldmengenausweitung durch Private führt neben der Inflationierung der Verbraucherpreise in der Realwirtschaft zu gewaltigen Blasen auf den seit einigen Jahrzehnten deregulierten Finanzmärkten.
Noch im Jahre 1990 betrug das weltweite BIP 22 Billionen Dollar. Die Summe der synthetischen Finanzmarktprodukte lag bei 2 Billionen Dollar. Schon im Jahre 2010 ist das globale BIP auf 63 Billionen Dollar angewachsen und die synthetischen Finanzprodukte auf 600 Billionen Dollar. Das heißt, die Realwirtschaft hat sich verdreifacht und die Finanzwirtschaft verdreihundertfacht. Günstige Kredite werden von Akteuren genutzt, um über den Kauf von Finanzprodukten durch eine Hebelung Profit zu schlagen, weil hier der zu zahlende Zins des Kredites im Idealfall deutlich unter der Rendite der Spekulation liegt.
Um hier zu einer vernünftigen und auch gerechten Lösung zu kommen, stellen die Autoren klar, dass Geld nicht etwas Privates ist und derartigen Interessen unterworfen sein darf, sondern ein im Grunde genommen öffentliches Gut ist, genauso wie Straßen und deren Beleuchtung. Somit ist das Geldwesen eine Angelegenheit des Bürgers, ein tragendes, dem Gemeinwohl dienendes Element der Demokratie.
Wesentlicher Kernpunkt der Vollgeldreform ist, dass auch das Giralgeld als gesetzliches Zahlungsmittel deklariert wird. Dies hätte zur Folge, dass die Geldmengensteuerung immer im Einklang zur realisierten Güter- und Dienstleistungserstellung erfolgen könnte. Im Prinzip lässt sich auch sagen, dass anstelle der früher einmal geltenden Goldbindung nun eine Güterindexwährung träte. Die Geldmengenerzeugung läge ausschließlich in den Händen einer dem Gemeinwohl dienenden unabhängigen Instanz, sozusagen in der Hand der „fünften“ Gewalt im Staat, und dies in Form einer echten Zentralbank oder einer „Monetativen“, deren oberstes Ziel die Geldwertstabilität wäre.
Der deutsche Staat beispielsweise könnte jedes Jahr zweistellige Milliardenbeträge Euro an Zinsen einsparen, weil das von ihm über die Steuereinnahmen hinaus benötigte Geld zinsfrei von dem nicht privat geschöpften Geld zur Verfügung gestellt würde. Die Geldwertstabilität — damit ist 0 Prozent Inflation gemeint — und somit die Verhinderung von Blasen hätten den nicht zu unterschätzenden Effekt, sozialen Verwerfungen entgegenzutreten.
Dieses Buch entschleiert — für jedermann verständlich — die Mysterien um das Geld. Es verdeutlicht, dass das bestehende System Wachstumsdruck auf die Realwirtschaft ausübt, mit all den negativen Folgen für Gesellschaft, Klima und Umwelt. Auch die Blasen im Spielcasino der Finanzmärkte tun ihr Übriges. Eine Vollgeldreform wäre sicherlich ein wesentlicher Schlüssel für eine gerechtere Verteilung des Vorhandenen und ebenso für Umwelt- und Klimaschutz.
Hier können Sie das Buch bestellen: „Vollgeld: Das Geldsystem der Zukunft. Unser Weg aus der Finanzkrise“.
Quellen und Anmerkungen:
(1) Die Geldmenge M1 umfasst das laufende Bargeld ohne Kassenbestände und täglich fällige Einlagen (Sichteinlagen) der monetären Finanzinstitute. In der Geldmenge M1 befindet sich somit das Geld, über das jederzeit verfügt werden kann (kreditvergleich.net).
Dieser Artikel erschien auf Rubikon am 18.08.2022 und ist unter einer Creative Commons-Lizenz (Namensnennung – Nicht kommerziell – Keine Bearbeitungen 4.0 International) lizenziert. Unter Einhaltung der Lizenzbedingungen dürfen Sie es verbreiten und vervielfältigen.
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