Wirtschaft und Krieg bilden ein Wechselverhältnis, dass wohl im Fall Ukraine NATO und EU nicht ausreichend berücksichtigt wurde.
Zur Dialektik von Wirtschaft und Krieg
Wirtschaft und Krieg, genauer ökonomische und militärische Macht bilden ein Wechselverhältnis. Allein Militärtechnik, die „hoch entwickelt“ und insofern gegnerischer Technik überlegen ist, reicht jedoch bei weitem nicht aus, um auch militärisch überlegen zu sein.
Gerade diese fehlerhafte Sicht wird in Diskussionen um „Wunderwaffen“ immer wieder zu strategischen Fehleinschätzungen führen. Der ehemalige CIA-Analyst Larry C. Johnson hat einem Blogbeitrag das Wechselverhältnis von Wirtschaft und Krieg am Beispiel der aktuellen militärischen Konfrontation in der Ukraine etwas genauer untersucht. Nachfolgend eine Übersetzung seines Beitrages.
Beginn der Übersetzung (Zitate, Links, Grafiken und Hervorhebungen wie im Original):
Im Russland-Ukraine-Krieg ist wirtschaftliche Macht genauso wichtig wie militärische Macht.
Von Larry C. Johnson am 2. Dezember 2025
Während der Druck im Westen zunimmt, den Krieg in der Ukraine zu beenden, verstehen die meisten pro-ukrainischen Militäranalysten im Westen die einfache, aber tiefgründige Beobachtung von Clausewitz in seinem Buch Vom Kriege nicht:
Niemand beginnt einen Krieg – oder besser gesagt, niemand bei Verstand sollte dies tun –, ohne sich vorher darüber im Klaren zu sein, was er mit diesem Krieg erreichen will und wie er ihn führen will. … Das politische Ziel und die verfügbaren Mittel (einschließlich der wirtschaftlichen Mittel) müssen in einem angemessenen Verhältnis stehen.
Kurz gesagt, die Russen verstanden dieses Prinzip, der Westen nicht. Washington und seine NATO-Verbündeten glaubten, Russlands Wirtschaft schwächen und die Russen dadurch besiegen zu können. Doch die wirtschaftlichen Schäden, die Russland der Ukraine zugefügt hat, wurden kaum beachtet. Die meisten Kämpfe seit Februar 2022 fanden auf ukrainischem Gebiet östlich des Dnepr statt.
Der Dnepr ist die wichtigste Binnenwasserstraße der Ukraine und war historisch gesehen eine der bedeutendsten Wirtschaftsadern des Landes. Vor dem umfassenden Einmarsch Russlands im Jahr 2022 trug er maßgeblich zum Massenguttransport bei und sicherte wichtige Exportindustrien (Getreide, Eisenerz, Stahl, Kohle). Der Krieg und die Zerstörung des Kachowka-Staudamms im Jahr 2023 haben seinen Beitrag zur ukrainischen Wirtschaft drastisch reduziert. Die folgende Grafik veranschaulicht die finanziellen Schäden, die der Dnepr-Fluss der ukrainischen Wirtschaft infolge der Kämpfe verursacht hat:

Laut den Zahlen zum Bruttoregionalprodukt (BRP) des ukrainischen Statistikamtes, umgerechnet in Euro (gesamtes nationales BIP: 205,7 Milliarden Euro), trugen die östlichen Regionen überproportional zur Schwerindustrie (ca. 40–50 % der ukrainischen Metallproduktion) und zum Getreideanbau (ca. 30–40 %) bei. Ihr Anteil am Gesamt-BIP wurde jedoch durch Kriegseinwirkungen und die Konzentration im Westen/Zentrum (z. B. Kiew mit 27 %) gedämpft. Die Besetzung nach 2022 hat dies weiter verschärft, da nun ca. 18–20 % des Staatsgebiets (vorwiegend im Osten) unter russischer Kontrolle stehen, was die wirtschaftlichen Verluste noch verstärkt.
Die ukrainische Getreideproduktion (hauptsächlich Weizen, Mais und Gerste) ist geografisch ungleichmäßig verteilt, wobei der Dnepr eine grobe Trennlinie bildet: Das Westufer (einschließlich zentraler Regionen wie Poltawa und Tschernihiw) dominiert die Maisproduktion, während das Ost-/Südufer (z. B. Charkiw, Dnipro, Saporischschja) für Weizen und Gerste bedeutender ist. Basierend auf Vorkriegsdaten des US-Landwirtschaftsministeriums (Durchschnittswerte 2010–2021) stammen etwa 30–40 % der gesamten ukrainischen Getreideproduktion aus Gebieten östlich des Dnepr.

Die ukrainische Staatsverschuldung im Verhältnis zum BIP hat sich seit Beginn der Militäroperation „Spezialoperation“ (SMO) dramatisch verschlechtert. Seit 2021 ist die Staatsverschuldung aufgrund der umfassenden russischen Invasion, die im Februar 2022 begann, sprunghaft angestiegen. Vor dem Krieg war die Verschuldung im Rahmen der Erholungsbemühungen nach 2014 stabil und rückläufig. Der Krieg führte zu massiven Verteidigungsausgaben (über 25 % des BIP jährlich), Einnahmeausfällen durch Handelsunterbrechungen und die Besetzung von rund 20 % des Staatsgebiets sowie zur Abhängigkeit von internationaler Hilfe und Krediten. Dadurch hat sich die Verschuldung mehr als verdoppelt und nähert sich einem untragbaren Niveau (voraussichtlich über 100 % bis Ende 2025). Die Daten stammen hauptsächlich von IWF, OECD und Weltbank, wobei es aufgrund von Schwierigkeiten bei der BIP-Schätzung während des Konflikts zu Abweichungen kommen kann (z. B. sank das nominale BIP 2022 vor der teilweisen Erholung um etwa 30 %).
Die Schuldenquote hat sich nahezu verdoppelt (von 48,9 % auf rund 100 %), was eine Verlagerung von Haushaltskonsolidierung hin zur Kriegsfinanzierung widerspiegelt. Vor 2022 strebte die Ukraine im Rahmen von IWF-Programmen eine Quote von unter 50 % an; nun ist sie vergleichbar mit der von hochverschuldeten Ländern wie Argentinien (rund 90 %), wobei der Krieg als Beschleuniger wirkt. Der starke Anstieg im Jahr 2022 ist auf den BIP-Einbruch zurückzuführen; seitdem steigen die Schulden aufgrund von Kreditaufnahmen (Auslandsverschuldung rund 80 % der Gesamtverschuldung) allmählich an. Die Restrukturierung im Jahr 2024 verschob die Zahlungen, doch 2025 markiert einen Wendepunkt, da der Schuldendienst die Rentenzahlungen (rund 15 % des Haushalts) übersteigt. Sollte der Krieg in diesem Tempo weitergehen, sieht es für 2026 düster aus … die Schuldenquote wird voraussichtlich bis dahin auf über 132 % steigen.
Russland hingegen profitierte vom Krieg. Mit einer Schuldenquote von 19 % des BIP konnte Russland seine Rüstungsindustrie mobilisieren und eine Vielzahl hochmoderner Waffensysteme, darunter große Mengen an Munition und Drohnen, produzieren, ohne sich zu verschulden. Russlands Wachstumsrate von plus 4 % im Jahr 2024 führte zwar zu einer zweistelligen Inflation, doch dank fiskalischer Sparmaßnahmen konnte Russland die Inflation im Jahr 2025 senken, wodurch das Wirtschaftswachstum auf 1 % zurückging. Dies hat Russlands Fähigkeit, die für die Ausweitung seiner Militäroperationen benötigten Güter zu produzieren, jedoch nicht beeinträchtigt, wie die dramatischen Fortschritte Russlands in der Ukraine seit September belegen.
Dies ist der entscheidende Punkt, den Donald Trump und sein nationales Sicherheitsteam nicht begreifen: Der Ukraine mangelt es nicht nur an Fachkräften und sie sieht sich mit untragbaren Personalverlusten konfrontiert, sondern ihre Wirtschaft befindet sich in einer tiefen Krise und ist nicht mehr zu erholen. Das bedeutet, dass sie stärker auf westliche Finanzhilfen für die ukrainischen Regierungsgeschäfte und den Militäreinsatz angewiesen sein wird. Doch auch der Westen kämpft wirtschaftlich an allen Fronten und ist nicht in der Lage, die notwendigen Mittel bereitzustellen, um die Ukraine zu stützen. Verschärft wird die Lage durch die zunehmende Korruption in der Ukraine: Mindestens 50 Milliarden US-Dollar der 360 Milliarden US-Dollar westlicher Hilfe seit 2022 sind in den Taschen der Selenskyj-Regierung verschwunden.
Ich glaube zwar, dass dieser Krieg auf dem Schlachtfeld und nicht durch Diplomatie enden wird, erinnere mich aber auch an Clausewitz‘ Feststellung, dass viele Kriege der Geschichte nicht mit einer entscheidenden Schlacht, sondern mit dem schlichten Verlust des Geldes einer Seite endeten (z. B. der Siebenjährige Krieg Frankreichs). Angesichts der aktuellen Entwicklungen geht der Ukraine das Geld aus, und damit auch ihren westlichen Geldgebern.
Ende der Übersetzung

Anmerkung:
„Also der Revolver siegt über den Degen, und damit wird es doch wohl auch dem kindlichsten Axiomatiker begreiflich sein, dass die Gewalt kein bloßer Willensakt ist, sondern sehr reale Vorbedingungen zu ihrer Betätigung erfordert, nämlich Werkzeuge, von denen das vollkommnere das unvollkommnere überwindet; daß ferner diese Werkzeuge produziert sein müssen, womit zugleich gesagt ist, daß der Produzent vollkommnerer Gewaltwerkzeuge, vulgo Waffen, den Produzenten der unvollkommneren besiegt, und daß, mit Einem Wort, der Sieg der Gewalt beruht auf der Produktion von Waffen, und diese wieder auf der Produktion überhaupt, also – auf der ‚ökonomischen Macht‘, auf der ‚Wirtschaftslage‘, auf den der Gewalt zur Verfügung stehenden materiellen Mitteln.“ (MEW, Bd. 20 S. 154, letzter Zugriff: 04. 12. 2025)
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