Europa rüstet auf. Deutschland will die stärkste europäische Armee. Ist das überhaupt machbar? Die Finanzlage lässt daran ernsthaft zweifeln.
Europa will mehr Waffen – wer soll das bezahlen?
Europa hat dem US-Präsidenten Donald Trump versprochen, mehr Waffen zu kaufen. Damit soll die eigenen „Verteidigungsfähigkeit“ (gegen wen eigentlich?) und die der Ukraine gestärkt werden. Deutschland ist in vorderster Reihe dabei und macht sich kriegstüchtig – „Deutschland“ Oder nur die offizielle Politik, Medien und natürlich der militärisch-industrielle Komplex?
Zwar heit es in der ZEIT vom 04. 08. 2025, es halte jeder Vierte (27 Prozent) „für sehr oder eher wahrscheinlich, dass Deutschland in den nächsten fünf Jahren militärisch angegriffen wird“. Doch die Bürger scheinen nur in Teilen davon begeistert zu sein, dass Deutschland „kriegstüchtig“ wird. Und nicht nur wegen ihrer Steuermilliarden, die hier verpulvert werden. Denn letztendlich sind die Milliarden für die Rüstung Steuergelder, Gelder, die die Steuerzahler erarbeitet, aber ihnen weggenommen werden, ohne dass sie sich dagegen wehren (können).
Ja, es gibt auch viele Bürger, die das für richtig und notwendig halten. Und es gibt diverse Experten, die das sehr detailliert „begründen“, wie beispielsweise Ulrich Hirsch. In der Beschreibung seines Buches auf amazon heißt:
„Wie ist es um unsere Verteidigungsfähigkeit bestellt, und was müsste sich alles ändern, damit der deutsche Staat seiner Verteidigungspflicht des Volkes gegenüber Bedrohungen militärischer Natur überhaupt nachkommen kann?“
Doch auch wenn die „Gefahr aus dem Osten“ (jetzt nicht mehr von den politisch gekennzeichneten „Bolschewisten“, sondern von den ethnisch definierten „Russen“) massiv propagiert wird, stellt sich die Frage: Sind das Vorhaben und gegenüber US-Präsident Trump übernommenen Verpflichtungen überhaupt finanzierbar? (Von der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit abgesehen.)
In den USA wachsen daran Zweifel, wie der nachfolgende Beitrag von Anatol Lieven vom 28. 08. 2025 verdeutlicht. Lieven ist Direktor des Eurasien-Programms am Quincy Institut for Responsible Statecraft. Das ist ein US-Thinktank, der zwar nicht immer die offiziellen Positionen der US-Regierung vertritt, jedoch schon gar nicht einer alternativen Strömung zugerechnet werden kann.
Beginn der Übersetzung (Links wie im Original):
Europa steht vor Aufständen und verspricht mehr Waffen ohne das Geld dafür zu haben
Frankreich könnte der nächste Dominostein sein, der fällt, nachdem die Schuldenkrise eine Gegenreaktion zur Austeritätspolitik auslöst.
Von Anatol Lieven
Wenn man ein klassisches Rezept für eine politische Krise erstellen wollte, könnte man gut eine Mischung aus stagnierender Wirtschaft, einer riesigen und wachsenden Staatsverschuldung, dem empfundenen Bedarf, die Militärausgaben radikal zu erhöhen, einer Migrationskrise, einem zutiefst unbeliebten Präsidenten und einer Regierung ohne Mehrheit im Parlament und wachsenden radikalen Parteien von rechts und links auswählen.
Mit anderen Worten: So wie es sich heute in Frankreich darstellt. Und die Krise Frankreichs ist nur ein Teil einer wachsenden Krise in Westeuropa insgesamt, mit ernsthaften Auswirkungen auf die Zukunft der transatlantischen Beziehungen.
Der jüngste Schock in Frankreich kam mit der Ankündigung von Premierminister François Bayrou, dass er am 8. September eine Vertrauensabstimmung im Parlament über seinen Plan für Haushaltskürzungen in Höhe von 43,8 Milliarden Euro (51,1 Milliarden US-Dollar) anberaumen werde, um das Haushaltsdefizit Frankreichs von derzeit 5,8 Prozent des BIP zu verringern, das somit fast doppelt so hoch ist, wie die drei Prozent, die eigentlich als Obergrenze für Mitglieder der Eurozone gelten sollen. Nach Griechenland und Italien ist dies der höchste Wert in Europa, was zu einem Schuldenstand von 113 Prozent des BIP führt. Das französische Wirtschaftswachstum lag im letzten Jahr bei nur 1,2 Prozent und wird für dieses Jahr auf magere 0,6 Prozent prognostiziert.
Der Plan Bayrou umfasst das Einfrieren von Sozialleistungen, Kürzungen bei Renten, die Abschaffung von zwei nationalen Feiertagen, tiefe Einschnitte bei Staatsstellen und unbestimmte Steuererhöhungen für Reiche. Der einzige Bereich der Staatsausgaben, der steigen soll, ist das Militär – und das ist Präsident Macrons Versprechen – im Einklang mit der Zusage der europäischen NATO-Mitglieder gegenüber Präsident Trump, die Militärausgaben radikal zu erhöhen, was Frankreichs Haushaltskrise zugespitzt hat.
Das würde bedeuten, dass das französische Militärbudget von derzeit rund zwei Prozent auf 3,5 Prozent steigen würde, zuzüglich weiterer 1,5 Prozent für „verteidigungsbezogene“ Ausgaben für Infrastruktur. Im Juli versprach Macron, dass das französische Militärbudget im Jahr 2027 64 Milliarden Euro erreichen werde, das ist drei Jahre früher als geplant und doppelt so hoch wie 2017. Er versprach auch, dass das nicht zu einer Aufnahme von zusätzlichen Schulden führen werde. Die undankbare Aufgabe für Bayrou ist es nun, zu versuchen, diese beiden Versprechen miteinander zu vereinbaren.
Bayrou ist heute Premierminister in Frankreich, weil sein Vorgänger Michel Barnier vor neun Monaten in einem Misstrauensvotum gestürzt wurde, nachdem dieser den Haushalt 2025 per Notverordnung durchgesetzt hatte, obwohl er keine parlamentarische Mehrheit für die Kürzungen gewinnen konnte. Das war das erste Mal seit 1962, dass eine Regierung durch ein Misstrauensvotum gestürzt wurde.
Bayrou hat beste Chancen, der zweite Premierminister innerhalb eines Jahres zu sein, der auf diese Weise fällt. Auf den ersten Blick scheint seine Herausforderung unüberwindbar. Die lose Koalition der zentristischen Parteien, die die Regierung unterstützt, wurde bei den vorgezogenen Wahlen, die Macron im Sommer 2024 ausgerufen hatte, geschlagen. Trotz eines Wahlbündnisses mit der Linken für die zweite Wahlrunde, um das Rassemblement National, das die meisten Stimmen gewann, auf den dritten Platz bei den Sitzen zu verdrängen, verfügen sie in der Nationalversammlung nur über 210 Sitze, gegenüber 142 für die Rechtsnationalen des Rassemblement National und seine Verbündeten sowie 180 für das linke Bündnis Neue Volksfront.
Beide Gruppierungen haben erklärt, dass sie die Regierung stürzen werden, wenn sie an ihrem Haushaltsplan festhält. Die Sozialisten sind strikt gegen Maßnahmen der Austerität und verbündet mit Gewerkschaften, die für den 10. September einen landesweiten Streik angekündigt haben, um den Haushalt zu blockieren.
Was Marine Le Pen, die Vorsitzende des Rassemblement National, betrifft, so dürfte ihre Freundlichkeit gegenüber der Regierung durch das Gerichtsverfahren kaum gestiegen sein, das viele als politisch motiviert betrachten und das – sofern es nicht im Berufungsverfahren aufgehoben wird – dazu führen wird, dass sie bei den nächsten Präsidentschaftswahlen nicht antreten darf.
Wenn Bayrous Regierung stürzt, wird es wahrscheinlich Neuwahlen geben. Die beste Chance für den Premierminister besteht darin, dass keiner der Oppositionsblöcke befürchtet, die französische Öffentlichkeit würde sie für eine neue politische Krise verantwortlich machen, und dass, wenn die Regierung bereit ist, einige ihrer Haushaltskürzungen aufzugeben (oder heimlich die Klage gegen Le Pen fallen zu lassen), der eine oder andere sich bei der Misstrauensabstimmung der Stimme enthalten könnte, was zu einem Sieg der Regierung führen würde.
Das ist jedoch alles andere als sicher. Der radikale sozialistische Führer Jean-Luc Mélenchon hat bereits erklärt, dass Macron selbst zurücktreten müsse, sollte die Regierung die Neuwahlen verlieren.
Die Auswirkungen dieser Krise reichen weit über die Grenzen Frankreichs hinaus. Bayrou hat gewarnt, dass Frankreich, wenn es seine Schulden nicht reduziert, das Schicksal Griechenlands nach der Finanzkrise von 2008 riskieren werde, das Jahre der Rezession und sehr harte und eine zutiefst unpopuläre Austerität erdulden musste, die die EU auf Betreiben Deutschlands als Bedingung für die Rettungspakete auferlegt hatte.
Es scheint jedoch unvorstellbar, dass Brüssel in der Lage wäre, Frankreich, der zweitgrößten Volkswirtschaft der EU, eine solche Austerität aufzuzwingen. Den wirtschaftlichen Niedergang hinzunehmen, wäre die politisch einfachere Wahl. Außerdem steht Deutschland, die größte Volkswirtschaft in der EU, selbst vor schweren Haushaltsproblemen. Streitigkeiten über den Haushalt brachten die letzte deutsche Koalitionsregierung zu Fall.
Die derzeitige Koalition aus Christdemokraten und Sozialdemokraten hat sich, trotz großer Unzufriedenheit unter den Haushaltskonservativen in der CDU, darauf geeinigt, die Kreditaufnahme von 33 Milliarden Euro im Jahr 2024 auf 81 Milliarden in diesem Jahr und 126 Milliarden im Jahr 2029 zu erhöhen, um die Verdoppelung der deutschen Militärausgaben und riesige, dringend notwendige Investitionen in die Infrastruktur zu finanzieren.
Ökonomen warnen jedoch, dass dies ohne Kürzungen im Sozialwesen nicht tragfähig sein wird. Wie in anderen Teilen Europas verschärfen auch in Deutschland die demografischen Probleme die Situation, da die alternde Bevölkerung sowohl die Steuerbasis verringert als auch eine starke Lobby gegen Kürzungen bei Renten und Gesundheitsversorgung schafft.
Die deutschen Wahlen im vergangenen Februar brachten einen Aufschwung für die rechtspopulistische Alternative für Deutschland (AfD), die Umfragen zufolge nun kurz davorsteht, die Christdemokraten als beliebteste Partei zu überholen. Sollte sich dieser Anstieg bis zu den nächsten deutschen Bundestagswahlen 2029 halten, werden zwei Szenarien möglich: Entweder die anderen Parteien halten ihre „Brandmauer“ aufrecht, indem sie eine permanente, instabile und zutiefst zerrissene Koalition aus fast allen anderen Parteien gegen die AfD bilden, oder die Brandmauer bricht zusammen, was zu einer deutschen Regierung führen würde, die weiter rechts steht als alles, was man seit 1945 gesehen hat.
Auch in Großbritannien ist die Labour-Regierung von Keir Starmer zutiefst unpopulär. Sie hat bei ihren Versuchen, die Sozialausgaben zu kürzen, um die Militärausgaben zu erhöhen, zwei demütigende Revolten durch ihre eigenen Abgeordneten erlitten. Nun sieht sich Labour mit der Abwanderung vieler ihrer Wähler zu einer neuen linken Partei konfrontiert. Die Staatsverschuldung liegt bei 103 Prozent des BIP und ist steigend.
Wie in Frankreich und Deutschland erlebt auch die rechtspopulistische Reform Party von Nigel Farage einen Aufschwung in den Umfragen und hat eine reale Chance, die nächste britische Regierung zu stellen.
Einige dieser radikalen Parteien von rechts und links – wie die AfD in Deutschland und die Sozialisten in Frankreich – lehnen die europäischen Militärhilfen für die Ukraine und die Erhöhungen bei den Militärausgaben offen ab. Andere stellten sich unter dem Eindruck der russischen Invasion hinter die NATO, lehnen aber eine europäische Rückversicherungstruppe für die Ukraine entschieden ab. Alle sind der Ansicht, wenn auch mit sehr unterschiedlichen Schwerpunkten, dass die Probleme ihrer Länder überwiegend im Innern lauern und nicht durch die Erhöhung der Militärausgaben gelöst werden können.
Die Lehren für die Trump-Regierung lauten wie folgt: Erstens sollte man den Versprechungen Europas, die Militärausgaben deutlich zu erhöhen, mit großer Skepsis begegnen. Selbst wenn die derzeitigen Regierungen aufrichtig sind, könnte dies einfach außerhalb ihrer Macht liegen. Zweitens sollte man jedoch darauf achten, sie nicht zu sehr unter Druck zu setzen. Die politische und wirtschaftliche Stabilität Europas ist ein altes und vitales Interesse der USA – weitaus wichtiger als die genauen Grenzen der Ukraine.
Ukraine zu fördern oder diese zu garantieren. Ohne ausreichende Ressourcen und ohne angemessene politische Unterstützung sind die europäischen Planer dieser Truppe nicht in der Lage, diese sie selbst zu garantieren.
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Anatol Lieven ist Direktor des Eurasien-Programms am Quincy Institut für verantwortliche Staatsführung. Zuvor war er Professor an der Georgetown University in Katar und in der Abteilung für Kriegsstudien des King’s College in London.
Ende der Übersetzung
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