Wird Nord Stream 2 für den US-Investor Stephen P. Lynch zu einer „einmaligen Gelegenheit“? Was geht uns das an?
Kauft US-Investor Stephen P. Lynch Nord Stream 2?
In den letzten Tagen gibt es vermehrt Meldungen über den Terrorakt, der zur Zerstörung von Nord Stream 1 und einem Strang von Nord Stream 2 führte.
Die F.A.Z. berichtete unter anderem am 15. 11. 2024:
„Der ehemalige ukrainische Geheimdienstler Roman Tscherwinskyj soll den Anschlag auf die Nord-Stream-Röhren organisiert haben.“
Die WELT meldete später „Die bislang unentdeckten Spuren der Nord-Stream-Sabotage“:
„Bei der Zerstörung der Nord-Stream-Pipelines nutzten die Saboteure nur vier Sprengsätze – so dachte man bisher. Tatsächlich waren es mindestens sechs. Das zeigen WELT vorliegende Gerichtsakten und eine Sonaraufnahme. Die Erkenntnisse nähren Zweifel an einer These über die Auftraggeber des Anschlags.“
Die russische Nachrichtenagentur TASS beruft sich am 26. 11. 2024 auf Aussagen von Sergej Naryschkin, Leiter des Russischen Auslandsnachrichtendienstes:
„Der Außenaufklärungsdienst verfügt über Information über die unmittelbare Beteiligung von professionellen Saboteuren aus den Reihen angelsächsischer Geheimdienste an diesem Terroranschlag.“
Abgesehen von den Spekulationen über die Urheber des Terroraktes sind auch folgende neuen Informationen interessant:
Am 22. 11. 2024 gab es dann ebenfalls in der F.A.Z. einen Artikel unter dem Titel: „Ein US-Investor will Nord Stream 2 kaufen“. Zur Kaufabsicht des Investors heißt es in dem Beitrag:
„Lynch argumentiert in seinem Antrag, dass die Regierung einen besseren Hebel in Friedensverhandlungen mit den Russen hätte, wenn die Pipeline in amerikanischer Hand wäre. Generell würde es amerikanischen Interessen dienen, wenn amerikanische Investoren die Pipeline besäßen.“
Zudem verweist die Zeitung darauf:
„Lynch hat laut WSJ im Wahlkampf Trump nahestehenden Organisationen rund 300.000 Dollar gespendet. Trump hat Deutschland scharf dafür kritisiert, sich von russischem Gas abhängig zu machen, und in seiner ersten Regierungszeit Zulieferern Sanktionen auferlegt.“
Der amerikanische Politikanalyst Andrew Korybko schrieb zu dieser Entwicklung am 25. 11. 2024 auf Substack einen Beitrag, zu dem hier die deutsche Übersetzung mit Links wie im Original folgt:
Beginn der Übersetzung:
Warum könnten die USA einem amerikanischen Investor erlauben, das bankrotte Nord Stream-Projekt zu kaufen?
Beobachter sollten dies im Auge behalten, da die Wahrscheinlichkeit hierfür gering ist, das Szenario jedoch große Auswirkungen haben kann.
Das Wall Street Journal berichtete letzte Woche, dass „ein Finanzier aus Miami heimlich versucht, die Gaspipeline Nord Stream 2 zu kaufen“, falls sie bald im Rahmen eines Schweizer Konkursverfahrens versteigert wird. Sie schilderten, dass Stephen P. Lynch bereits in der Vergangenheit Geschäfte in Russland gemacht hat, und er wird auch mit den Worten zitiert: „Dies ist eine einmalige Gelegenheit für Amerika und Europa, die europäische Energieversorgung für den Rest des fossilen Brennstoffzeitalters zu kontrollieren.“ Das stimmt, und es könnte bei jedem großen russisch-amerikanischen Kompromiss eine Schlüsselrolle spielen.
„Jeder hat den wichtigsten Teil des ersten Telefonats zwischen Putin und Scholz seit zwei Jahren verpasst “, nachdem Putin Anfang des Monats Scholz angemacht und angedeutet hatte, dass der letzte unbeschädigte Teil dieses Projekts wieder zum Einsatz kommen könnte, wenn Deutschland dabei hilft, den Ukraine-Konflikt zu deeskalieren, anstatt zu seiner Eskalation beizutragen. Deutschland steht am Rande einer Rezession, was größtenteils auf die hohen Energiekosten zurückzuführen ist, die durch das Nachgeben gegenüber dem US-Druck, Sanktionen gegen Russland zu verhängen, verursacht wurden. Es ist daher an billiger und zuverlässiger Energie interessiert.
Gleichzeitig wird erwartet, dass Trump die EU dazu drängen wird, seinen Handelskrieg gegen China zu unterstützen. Das wird ohnehin schon schwierig genug sein, zumal China und die EU gerade dabei sind, ihren Streit um Elektroautos beizulegen, und China der zweitgrößte Handelspartner der EU ist. Es besteht kaum eine Chance, dass sie mitmachen, wenn sie in eine Rezession geraten, die durch den wirtschaftlichen Abschwung in Deutschland verursacht wird. Trump hat also ein Interesse daran, als Anreiz einige der billigen russischen Energieimporte wieder einzuführen.
Die USA würden durch Lynchs Eigentum an diesem Projekt einen Anteil erhalten, was es Amerika auch ermöglichen würde, diese Importe einzustellen, wenn Deutschland zu schnell auf eine Annäherung an Russland eingeht, etwa wenn es sich weigert, die Ukraine weiter zu bewaffnen oder nach dem Ende des Konflikts einen Großteil ihres Wiederaufbaus zu finanzieren. Deutschland könnte diese Bedingungen im Austausch für die sofortige wirtschaftliche Entlastung akzeptieren, die es leisten könnte, während Russland für die zusätzlichen Haushaltseinnahmen dankbar sein könnte, die diese Vereinbarung mit sich bringen könnte.
Es ist zwar kein perfekter Kompromiss, aber immerhin ein Kompromiss, und er könnte dementsprechend eine Schlüsselrolle in jedem großen russisch-amerikanischen Kompromiss über die Ukraine spielen. Wenn Russland keine Einwände dagegen hat, dass die USA einen Teil seiner Energielieferungen nach Deutschland kontrollieren, dann hat es vielleicht auch keine Einwände dagegen, einige der kritischen Mineralien, die es aus dem von der Ukraine beanspruchten Gebiet gewinnen könnte, an die USA zu verkaufen. Dieser ergänzende Kompromiss könnte Trump davon abhalten, den Konflikt zu eskalieren, um die Kontrolle über diese Ressourcen zu erlangen, wie Selenskyj es will.
Schließlich verkauft Russland trotz des andauernden Stellvertreterkriegs in der Ukraine immer noch Nickel und Titan an die USA, und Indien könnte immer als alternativer Kanal zu diesem Markt dienen, genau wie es dies für den europäischen Energiemarkt tut, nachdem Russland Sanktionen gegen Russland verhängt hatte, falls Russland den Export dieser Mineralien in die USA verbietet. Vor diesem Hintergrund könnten die USA, selbst wenn die EU Trumps Handelskriegspläne gegen China nicht mitmacht, dennoch einige strategische Vorteile daraus ziehen, auch wenn sie das Abkommen möglicherweise durch schrittweise Sanktionserleichterungen für Russland versüßen müssen.
Darin liegt der Leitgedanke hinter diesem Vorschlag für einen großen russisch-amerikanischen Kompromiss. Die komplexen gegenseitigen Abhängigkeiten zwischen Russland und dem Westen, die hier ausführlich im Zusammenhang mit der Bereitschaft Russlands zur Wiederaufnahme von Beziehungen mit dem IWF erläutert wurden, erklären, warum die oben erwähnten „politisch unbequemen“ Handelsbeziehungen bis heute bestehen. Keiner der beiden Staaten hat den politischen Willen, den Handel mit dem anderen vollständig abzubrechen, da dies für beide Seiten nachteilig wäre.
Sie könnten sich also darauf einigen, dass es besser ist, den unbeschädigten Teil der Nord Stream-Pipelines in amerikanisches Eigentum zu überführen und gleichzeitig eine Vereinbarung zu treffen, wonach Russland einige der kritischen Mineralien, die es auf von der Ukraine beanspruchtem Gebiet fördert, an die USA verkauft, um Trump von einer Eskalation des Konflikts abzuhalten. Der zusätzliche Vorteil besteht darin, dass die USA die Chancen erhöhen könnten, dass die EU ihren vorhersehbaren Forderungen, wirtschaftlich Druck auf China auszuüben, teilweise nachkommt, selbst wenn China sich letztlich immer noch weigert.
Nachdem wir erklärt haben, warum dieses Abkommen funktionieren könnte, ist es an der Zeit, drei Argumente dagegen zu nennen. Erstens könnte die antirussische Fraktion in den ständigen militärischen, geheimdienstlichen und diplomatischen Bürokratien der USA immer noch stark genug sein, um sich dagegen zu wehren. Zweitens könnte Russland aus Gründen der strategischen Souveränität die Kosten verlorener Haushaltseinnahmen aus Rohstoffverkäufen an den Westen in Kauf nehmen. Und schließlich könnte sich Deutschland von sehr lautstarken antirussischen EU-Mitgliedern wie Polen unter Druck gesetzt fühlen, die Pipeline geschlossen zu halten.
Alles in allem ist unklar, ob die USA Lynch den Kauf dieses bankrotten Projekts erlauben werden, wenn es demnächst im Rahmen eines Schweizer Konkursverfahrens versteigert wird. Sie werden es nur dann genehmigen, wenn sie der Meinung sind, dass es eine Schlüsselrolle in einem größeren russisch-amerikanischen Kompromiss spielen könnte. Moskau und Berlin müssten daher im Voraus informell ihre Unterstützung signalisieren, was über bilaterale Hinterzimmerkanäle geschehen könnte. Beobachter sollten dies auf jeden Fall im Auge behalten, da es sich um ein Szenario mit geringer Wahrscheinlichkeit, aber großer Auswirkung handelt.
Ende der Übersetzung
Nachtrag vom 29. 11. 2024:
Weitere Informationen unter anderem:
- Nord Stream – Terror vor einem Jahr (26. 09. 2023)
- Sprengung von Nord Stream nicht mit Andromeda (22. 06. 2023)
- Nordstream gesprengt – wer war das? (08. 02. 2023)
- Wofür Nord Stream geopfert wurde (21. 10. 2022)
- Kriegserklärung an Deutschland und die EU (29. 09. 2022)