In der Steuern und Abgaben sichern das Funktionieren des Gemeinwesens. Für Steuerzahler kann das jedoch auch zu einem Dilemma werden.
Steuern und Abgaben – Solidarität oder Mittäterschaft?
Das Zahlen von Steuern und Abgaben ist eine zentrale Säule jeder Gesellschaft. Sie ermöglicht den Bau von Schulen, Krankenhäusern und Straßen und sichert das Funktionieren des Gemeinwesens. Doch diese Pflicht kann für den Einzelnen zum moralischen Dilemma werden, wenn die Mittel für Zwecke eingesetzt werden, die er als zutiefst unmoralisch oder gar verbrecherisch empfindet. Der Gedanke, dass wir mit unseren Abgaben nicht nur soziale Projekte, sondern beispielsweise auch Krieg, Zerstörung und Leid finanzieren, lässt viele Menschen (ver-)zweifeln.
Dieses Dilemma ist nicht neu. So stellte der amerikanische Ökonom Henry George (1839 – 1897) fest, dass die Erfindung indirekter Steuern und Staatsanleihen die Grundlage für endlose Kriegsführung geschaffen habe.
„Daß ganz Europa, ungeachtet des Fortschritts und der Zivilisation, gegenwärtig ein riesiges Militärlager vorstellt, und daß die Kräfte des am meisten entwickelten Teiles der Menschheit auf Krieg und Vorbereitung zu Kriegen verschwendet werden, dies haben wir zwei großen Erfindungen zu verdanken: der Erfindung indirekter Steuern und der Staatsanleihen.“
Hier drängen sich gleich mehrere Vergleiche zu den letzten 110 Jahren deutscher Geschichte auf.
Wie Generationen von Steuerzahlern den Ersten Weltkrieg finanzierten
Der Erste Weltkrieg war ein Konflikt von bis dahin nie dagewesener Intensität und finanzieller Belastung. Deutschland finanzierte den Krieg größtenteils durch Schulden und Kriegsanleihen.
Als der Reichstag am 2. Dezember 1914 zum zweiten Mal über Kriegskredite entscheiden sollte, hatten sich vorab in der Fraktion 17 SPD-Abgeordnete dagegen ausgesprochen. Doch bei der Abstimmung stand einzig Karl Liebknecht zu seiner Überzeugung und stimmte gegen die Kredite. Ergänzend gab er zu Protokoll (zu Wort ließ man ihn nicht kommen):
„Dieser Krieg, den keines der beteiligten Völker selbst gewollt hat, ist nicht für die Wohlfahrt des deutschen oder eines anderen Volkes entbrannt. Es handelt sich um einen imperialistischen Krieg, … um die politische Beherrschung wichtiger Siedlungsgebiete für das Industrie- und Bankkapital … Der Krieg ist kein deutscher Verteidigungskrieg … Ein schleuniger, für keinen Teil demütigender Friede, ein Friede ohne Eroberungen ist zu fordern; alle Bemühungen dafür sind zu begrüßen.“ (Karl Liebknecht, Gesammelte Reden und Schriften, Band VIII, S. 63/64)
Karl Liebknecht bezahlte seinen Antimilitarismus mit dem Leben. Denn am 15. Januar jährt sich der Tag seiner Ermordung durch Angehörigen der Garde-Kavallerie-Schützen-Division. Diese hatten sich mit Gustav Noske, der wie Liebknecht der SPD angehörte, abgestimmt.
Deutsche Steuerzahler trugen insgesamt fast 100 Jahre die finanziellen Lasten für die Vorbereitung, Durchführung und Folgen des Ersten Weltkrieges:
- Kriegsfinanzierung und Anleihen: Bis 1918 summierten sich die Kriegskredite auf über 160 Milliarden Reichsmark. Die Zentralbankgeldmenge stieg um das 10,8-Fache. Kriegsanleihen im Wert von 98 Milliarden Mark, größtenteils durch Bürger gezeichnet, verloren durch die Inflation nach dem Krieg ihren Wert, was viele in den Ruin trieb.
- Reparationen und Inflation: Nach dem Krieg belasteten massive Reparationszahlungen die deutsche Wirtschaft. Sie begünstigten eine Hyperinflation, die Ersparnisse der Bevölkerung vollständig entwertete und zu sozialem Elend führte.
- Langfristige Folgen: Der Versailler Vertrag zwang Deutschland zur Abtretung wirtschaftlich bedeutender Gebiete, was die Wirtschaft weiter schwächte. Die Lasten des Krieges spürten deutsche Steuerzahler über Jahrzehnte hinweg bis 2010.
Käthe Kollwitz, die den Verlust ihres Sohnes im Krieg betrauerte, mahnte 1924 mit ihrem Plakat „Nie wieder Krieg“ eindringlich zur Vernunft.
Doch schon wenige Jahre später begannen die deutschen Steuerzahler den nächsten Krieg zu finanzieren.
Steuerzahler finanzieren auch den Zweiten Weltkrieg
Die Kosten des Zweiten Weltkriegs waren noch verheerender. Die direkten Kriegskosten für Deutschland werden auf etwa 510 Milliarden Reichsmark geschätzt. Die nationalsozialistische Kriegswirtschaft nutzte perfide Methoden wie die sogenannte „geräuschlose Kriegsfinanzierung“, um die Bevölkerung auszubluten.
- Schulden und versteckte Inflation: Der Geldumlauf stieg von 11 Milliarden auf 70 Milliarden Reichsmark. Löhne und Preise wurden eingefroren, während die Kaufkraft durch Rationierung und Sparprogramme abgeschöpft wurde.
- Raub in besetzten Gebieten: Ein erheblicher Teil der Kriegskosten wurde durch die Ausbeutung der besetzten Gebiete finanziert – ein Akt von internationalem Diebstahl.
- Nachkriegsfolgen: Am 1. September 1939 überfiel Deutschland Polen und entfachte damit den Zweiten Weltkrieg. Der Ruf „Nie wieder Krieg!“ war vergessen. Während viele Deutsche sich noch im Siegestaumel wähnten, kehrte der Krieg nach der Schlacht um Stalingrad 1943 unaufhaltsam nach Deutschland zurück. Weite Teile des Landes wurden durch den Krieg in Schutt und Asche gelegt und die wirtschaftliche Infrastruktur zerstört.
Ein besonders tragisches Beispiel für die verheerenden Folgen dieses Krieges war der Bombenangriff auf Magdeburg am 16. Januar 1945. An diesem Tag „warfen insgesamt 5.000 schwere Bombenflugzeuge der britischen Royal Air Force (RAF) und der amerikanischen United States Army Air Forces (USAAF) 12.500 Tonnen Bomben“ auf die Stadt. „Dann färbte sich der Himmel blutrot.“ Die Stadt wurde zu über 60 % zerstört. „5.000 bis 6.000 Menschen starben, 16.000 wurden verletzt, Tausende vermisst und weit über 200.000 obdachlos.“
Die lange Liste der alliierten Luftangriffe durch die britische Royal Air Force und die United States Army Air Forces ist zwar bei weitem nicht vollständig. Aber sie lässt erahnen, dass der Zweite Weltkrieg nicht nur fast 8 Millionen Deutschen und weltweit rund 70 Millionen Menschen das Leben kostete, sondern von den Überlebenden auch teuer zu bezahlen war.
Die finanziellen Folgen des Zweiten Weltkriegs und der Lastenausgleich
Die finanziellen Folgen des Zweiten Weltkriegs belasteten die deutsche Bevölkerung auch in der Nachkriegszeit schwer. Neben den zerstörten Städten, der entwerteten Währung und den hohen Reparationszahlungen wirkte der Lastenausgleich als Versuch, die Lasten des Krieges gerechter zu verteilen.
- Hintergrund des Lastenausgleichsgesetzes (LAG): Am 14. August 1952 trat in der Bundesrepublik Deutschland das Lastenausgleichsgesetz in Kraft (und wurde übrigens am 15. 07. 2024 erst wieder aktualisiert!). Es zielte darauf ab, die wirtschaftlichen Schäden und Ungleichheiten auszugleichen, die der Krieg hinterlassen hatte. Besonders betroffen waren Vertriebene aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten, Bombenopfer und Enteignete.
- Finanzierung des Ausgleichs: Der Lastenausgleich wurde durch eine Abgabe auf das Vermögen derjenigen finanziert, die im Krieg keinen oder nur geringen Schaden erlitten hatten. Diese sogenannte Vermögensabgabe betrug 50 % des Vermögens und wurde über 30 Jahre in Raten gezahlt. Sie brachte der Bundesrepublik enorme Mittel ein.
- Zweck und Auswirkungen: Die Zahlungen aus dem Lastenausgleich wurden für den Wiederaufbau zerstörter Existenzen und als Entschädigung für verlorenes Eigentum genutzt. Vertriebene erhielten Mittel für den Neustart, Bombenopfer Unterstützung zum Wiederaufbau ihrer Häuser. Insgesamt wurden durch das Lastenausgleichsgesetz über Jahrzehnte hinweg rund 150 Milliarden DM an Entschädigungen ausgezahlt (inflationsbereinigt ein Vielfaches).
- Soziale Gerechtigkeit und wirtschaftliche Stabilität: Der Lastenausgleich war nicht nur ein finanzielles Instrument, sondern auch ein gesellschaftspolitischer Akt. Er sollte Spannungen zwischen den verschiedenen Bevölkerungsgruppen verringern, die durch die ungleiche Verteilung der Kriegsfolgen entstanden waren, und so zur Stabilisierung der Gemeinwesen beitragen.
Der Lastenausgleich verdeutlicht eindrucksvoll, wie lange und tiefgreifend die finanziellen Folgen des Zweiten Weltkriegs die deutsche Gesellschaft prägten. Noch Jahrzehnte nach Kriegsende trugen die Bürger – ob direkt geschädigt oder nicht – zur Bewältigung der wirtschaftlichen Schäden bei. Dieses Beispiel zeigt, wie eng persönliche Schicksale und staatliche Maßnahmen miteinander verwoben sind, wenn es darum geht, Kriege und deren Folgen zu finanzieren.
Wollen wir jetzt ein weiteres Mal Leben und Geld auf dem Altar des Krieges opfern?
Berliner Appell „Nein zu Kriegen“
Im Vergleich zu den mächtigen Antikriegsaktionen besonders in den 80er Jahren in beiden deutschen Staaten scheint die verheerende Geschichte der Kriegsvorbereitung und -führung kaum eine Rolle zu spielen.
An der finanziellen Unterstützung von Rüstung und Krieg in der Ukraine, im Nahen Osten und anderen Teilen der Welt, verdient sich die Rüstungsindustrie eine Goldene Nase, während die Steuerzahler schon jetzt wieder dafür bluten. Die Bundesregierung führt einen Teil der Mittel unter dem Begriff „Ertüchtigungsinitiative“.
„Die Mittel der Ertüchtigungsinitiative der Bundesregierung belaufen sich allein für das Jahr 2024 auf etwa 7,1 Milliarden Euro.“
Und wie das Auswärtige Amt erklärte:
„Deutschland steht mit umfangreicher Unterstützung – insgesamt bisher 37,32 Mrd. Euro – fest an der Seite der Menschen in der Ukraine, längst nicht nur mit militärischem Material.“
Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) will Deutschland gar „kriegstüchtig“ machen – nicht etwa „verteidigungstüchtig“ (Orwell lässt grüßen!)
Offensichtlich sind sich viele Steuerzahler des Dilemmas bewusst. Rund 27.000 Bürger haben bis Ende 2024 den „Berliner Appell: Gegen neue Mittelstreckenwaffen und für eine friedliche Welt“ unterzeichnet oder unterstützen ähnliche Initiativen.
Langjährige Friedensaktivisten wie der Theologe Eugen Drewermann kritisieren immer wieder die Verquickung von Staat und Gewalt und fordern ein radikales Umdenken. Seine Worte fanden in den 1980er Jahren Widerhall bei den großen Antikriegsdemonstrationen gegen die NATO-Aufrüstung. Millionen Menschen protestierten gegen die Stationierung neuer Raketen und erinnerten daran, wie leichtfertig Kriege begannen, aber wie schwer ihre Folgen zu tragen sind.
Solidarität in einer zwiespältigen Welt
Das Dilemma des Steuerzahlers bleibt: Soll man in einem System mitwirken, das sowohl Leben rettet als auch vernichtet? Für viele Menschen führt kein Weg daran vorbei, die Finanzierung von Kriegen durch bewussten politischen Einsatz anzuprangern. Ebenso können sie legale Steuergestaltungen für friedliche Zwecke nutzen. Die Mahnungen von Karl Liebknecht, Käthe Kollwitz und Eugen Drewermann und vielen anderen zeigt, dass die moralische Verantwortung nicht endet, wenn der Steuerbescheid bezahlt ist.
Es liegt an uns, durch unser Engagement dafür zu sorgen, dass unser solidarischer Beitrag nicht länger Waffen, sondern ausschließlich das Wohl der Menschheit finanziert. Denn, wie Drewermann es ausdrückte:
„Die Logik des Krieges ist immer die Zerstörung. Die Logik des Lebens aber ist die Hoffnung.“