Als eine Kriegserklärung an Deutschland und die EU bezeichnet Pepe Escobar die Sabotage von Nord Stream 1 und 2
Kriegserklärung oder „nur Sabotage“?
Die schwedische, dänische und auch die Bundesregierung waren wie die EU-Bürokraten schnell dabei, die Lecks an des Ostseepipelines Nord Stream 1 und 2 als Sabotage zu bezeichnen. Und genauso schnelle wurde zumindest mit dem Finger auf Russland als Urheber verwiesen. Als ob Russland einen Nutzen davon hätte, eine Pipeline, mit der es langfristig Geld verdienen wollte, zu zerstören. Den Gashahn zuzudrehen, wäre viel einfacher und billiger möglich.
Für Pepe Escobar* scheint viel eher: „Deutschland und der EU wurde eine Kriegserklärung überreicht„. (Siehe auch hier.)
Dafür bringt er einige Argumente ins Gespräch und folgert:
„Die Sabotage der Nord Stream (NS)- und Nord Stream 2 (NS2)-Pipelines in der Ostsee hat den „Katastrophenkapitalismus“ auf eine ganz neue, giftige Stufe gehoben.
Diese Episode eines hybriden Industrie-/Kommerzkrieges in Form eines Terrorangriffs auf die Energieinfrastruktur in internationalen Gewässern signalisiert den absoluten Zusammenbruch des internationalen Rechts, das von einer auf Regeln basierenden Ordnung nach dem Motto ‚our way or the highway‘ überlagert wird.“
Escobar geht von einer „ausgeklügelte Operation“ aus – mit schwerwiegenden Folgen.
„So wie es aussieht, ist eine strategische Unumkehrbarkeit bereits offensichtlich; die Bevölkerung mehrerer EU-Länder wird einen enormen Preis zahlen und unter den schwerwiegenden Folgen dieses Angriffs leiden, kurz-, mittel- und langfristig.“
Wie bei allen Handlungen stelle sich nämlich die Frage: Cui bono (wem nützt es)?
Wer hat ein Motiv, die Pipelines zu stören?
Schon die Vorgeschichte dieser Störung ließe erkennen, wer welches Interesse daran hatte, den Fluss von Erdgas durch die Ostseepipelines zu verhindern.
„NS2 wurde bereits während der gesamten Bauphase angegriffen – und zwar ganz offen. Bereits im Februar versuchten polnische Schiffe aktiv, das Verlegeschiff Fortuna an der Fertigstellung von NS2 zu hindern. Die Rohre wurden südlich von – Sie ahnen es – Bornholm verlegt.“
Eine offensichtlich unmittelbare Folge der Lecks zeichne sich für Deutschland ab:
„Die Abschaltung von NS und NS2 bedeutet die endgültige Beendigung jeglicher Möglichkeit eines deutsch-russischen Abkommens über Gaslieferungen, mit dem zusätzlichen Vorteil, dass Deutschland auf den niedrigen Status eines absoluten US-Vasallen zurückgestuft wird.“
Da der Raum um Bornholm zumindest von Dänemark stark kontrolliert wird, kommt Escobar zu dem Schluss, dass „Dänemark eine sehr zweifelhafte Rolle spielt: Es ist unmöglich, dass Kopenhagen nicht zumindest in die Informationen ‚eingeweiht‘ war.“
„Der entscheidende Punkt ist, dass wir möglicherweise mit dem Fall eines EU/NATO-Mitglieds konfrontiert sind, das an einem Sabotageakt gegen die wichtigste EU/NATO-Wirtschaft beteiligt ist. Das ist ein casus belli. Abgesehen von der erschreckenden Mittelmäßigkeit und Feigheit der derzeitigen Regierung in Berlin ist es klar, dass der BND – der deutsche Geheimdienst – sowie die deutsche Marine und informierte Industrielle früher oder später die Rechnung aufmachen werden.
Dies war keineswegs ein isolierter Anschlag. Am 22. September gab es einen Anschlag auf Turkish Stream durch Kiewer Saboteure. Am Tag zuvor wurden auf der Krim Marinedrohnen mit englischsprachigen Kennungen gefunden, die vermutlich Teil des Komplotts waren. Hinzu kommen US-Hubschrauber, die vor Wochen die künftigen Sabotageknotenpunkte überflogen, ein britisches ‚Forschungsschiff‘, das seit Mitte September in dänischen Gewässern herumlungert, und ein Tweet der NATO über die Erprobung ’neuer unbemannter Systeme auf See‘ am selben Tag der Sabotage.“
Doch nicht nur Deutschland ist unmittelbar davon betroffen, dass in absehbarer Zeit kein russisches Erdgas durch die Pipelines fließen wird.
Wen trifft die faktische Kriegserklärung?
In den letzten Tagen sind nicht nur in Ostdeutschland erneut Tausende Menschen auf die Straße gegangen, um gegen die verfehlte Energiepolitik der Bundesregierung, gegen die antirussischen Sanktionen und steigende Preise zu protestieren.
Beispielsweise versammelten sich am 26.09.2022 nach Polizeiangaben 3.500 Menschen in Lubmin bei Greifswald und forderten die Öffnung der Ostseepipeline Nord Stream 2 sowie ein Ende der Russland-Sanktionen.
Ähnliche Proteste gab es beispielsweise in Brüssel, Prag, gab und gibt es in Wien.
Denn den Bürgern droht eine Kostenexplosion, vielen kleinen und mittleren Unternehmen die Insolvenz…
„Unterdessen werden die Energieriesen der EU durch die Sabotage große Verluste erleiden.
Auf der Liste stehen die deutschen Unternehmen Wintershall Dea AG und PEG/E.ON, die niederländische N.V. Nederlandse Gasunie und die französische ENGIE. Dann gibt es noch diejenigen, die NS2 finanziert haben: wieder Wintershall Dea sowie Uniper, die österreichische OMV, wieder ENGIE und die britisch-niederländische Shell. Wintershall Dea und ENGIE sind sowohl Miteigentümer als auch Gläubiger. Ihre wütenden Aktionäre werden ernsthafte Antworten von einer ernsthaften Untersuchung erwarten.
Und es kommt noch schlimmer: An der Front des Pipeline-Terrors gibt es keine Hindernisse mehr. Russland wird nicht nur wegen Turk Stream, sondern auch wegen Power of Siberia in höchster Alarmbereitschaft sein. Das Gleiche gilt für die Chinesen und ihr Labyrinth von Pipelines, die in Xinjiang ankommen.“
Für Escobar zeigt sich an dem Vorfall, dass sich die EU-Oligarchie in einem fortgeschrittenen Zerfallsprozess befinde, der sich rasend schnell vollziehe. Sie sei nicht mehr in der Lage, eine eigenständige Rolle zu spielen, falls sie das einmal wollte. Als strategisch autonomer geopolitischer Akteur habe die EU verspielt.
Nunmehr steckten die Eurokraten in einer ernsten Zwickmühle. Denn wie wollen sie reagieren, wenn Tatsachen bekannt werden, die „Putins Täterschaft“ widerlegen? Möglicherweise hoffen sie darauf, dass der Vorfall bald in den Hintergrund gedrängt wird, wie schon viele andere Vorwürfe.
Und was wird, wenn Gazprom auch das ukrainische Energieunternehmen Naftofgaz wegen unbezahlter Rechnungen verklagt?
Mögliche Folgen für Westeuropa
Es würde kein russisches Gas mehr durch die Ukraine in die EU fließen.
„Als ob das alles nicht schon schlimm genug wäre, ist Deutschland vertraglich verpflichtet, bis 2030 jährlich mindestens 40 Milliarden Kubikmeter russisches Gas abzunehmen.
Einfach nein sagen? Das können sie nicht: Gazprom hat einen Rechtsanspruch darauf, auch ohne Gaslieferungen bezahlt zu werden. Das ist der Sinn eines langfristigen Vertrags. Und das passiert jetzt schon: Wegen der Sanktionen bekommt Berlin nicht das ganze Gas, das es braucht, muss aber trotzdem zahlen.“
Übrigens nicht nur für Escobar wird jetzt schmerzlich deutlich, dass die Zerstörung der russischen Gaslieferungen für Europa und besonders Deutschland eine Kriegserklärung darstellt.
„Unabhängigkeit der EU: verboten. Zusammenarbeit mit China: verboten. Unabhängige Handelsverbindungen mit Asien: verboten. Der einzige Platz für die EU ist die wirtschaftliche Unterwerfung unter die USA: eine geschmacklose Neuauflage der Jahre 1945-1955. Mit einer perversen neoliberalen Wendung: Wir werden eure industriellen Kapazitäten besitzen, und ihr werdet nichts haben.
Die Sabotage von NS und NS2 ist Teil des imperialen feuchten Traums, die eurasische Landmasse in tausend Teile zu zerlegen, um eine transeurasische Konsolidierung zwischen Deutschland (stellvertretend für die EU), Russland und China zu verhindern…
Die amerikanischen Eliten und ihre trojanischen Pferde in Europa werden alles tun, um ihre Kontrolle nicht aufzugeben.
Die ‚amerikanischen Eliten‘ umfassen in diesem Zusammenhang die gestörte, von Strauß’schen Neokonservativen verseuchte ‚Geheimdienstgemeinschaft‘ und die großen Energie-, Pharma- und Finanzkonzerne, die sie bezahlen und die nicht nur vom ‚Forever War‘-Ansatz des Tiefen Staates profitieren, sondern auch mit dem in Davos ausgeheckten ‚Great Reset‘ ein Vermögen machen wollen.“
Offensichtlich stimmt Pepe Escobar mit Moon of Alabama überein:
„Es ist höchste Zeit, dass die deutsche Regierung aufwacht und erkennt, dass ein Krieg gegen ihr Land begonnen hat. Und nein. Es ist nicht Russland, das ihn führt.“
Ähnlich formulierte das am 28.09.2022 Batiushka auf „The Saker blog“
„Gegenwärtig besteht für Mittel- und Westeuropa die Gefahr einer ‚Donbassisierung‘ als Folge der US-Forderungen nach absolutem Gehorsam gegenüber ihrer antirussischen Tyrannei, den so genannten ‚Sanktionen‘. Das bedeutet, dass das NATO-isierte Mittel- und Westeuropa deindustrialisiert, verarmt, kalt, hungrig und auch wehrlos sein wird, da seine Waffen in der Ukraine zerstört wurden. Doch erst an diesem Tiefpunkt werden sie zu verstehen beginnen, dass ihre Zukunft nicht jenseits des Atlantiks liegt, sondern nebenan, in Osteuropa und Eurasien, dem Tor zu Wachstum und Wohlstand in Asien.“
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*Pepe Escobar ist ein unabhängiger geopolitischer Analyst und Autor, unter anderem auf Telegram.