Systemwandel und Energiepolitik

Der globale Systemwandel betrifft uns alle. Welche Rolle spielt dabei die Energiepolitik? Ein Kommentar zum russischen Ansatz.

Globaler Systemwandel – ein Kommentar zur Rolle Russlands

Im globalen Systemwandel nimmt für die westlichen Staaten die Energiepolitik einen bedeutenden Platz ein. Für Bauern war diese in den vergangenen Monaten Grund für europaweite Proteste. Große Industrieunternehmen begründen damit, warum sie  auswandern. Kapitalanleger wollen damit eine klimafreundliche Rendite

Der amerikanische Politikanalyst Andrew Korybko, kommentierte am 06. 01. 2025 auf Substack Russlands Ansatz hinsichtlich des globalen Systemwandels. Als Grundlage dafür diente ihm ein Interview von Rossijskaja Gaseta mit dem russischen Außenministers Sergej Lawrow Ende November. Nachfolgend die Übersetzung des Kommentars.

Beginn der Übersetzung (Links wie im Original):

Lawrow erläuterte den russischen Ansatz für den globalen Systemwandel

Er sieht vor, den Entwicklungsländern dabei zu helfen, ihre Beziehungen zum Westen neu auszubalancieren und gleichzeitig die neokolonialen Fallstricke der „grünen Agenda“ zu vermeiden, die als Waffe eingesetzt wird, um sie in die Falle zu locken.

Der russische Außenminister Sergej Lawrow erläuterte Ende November in einem Interview mit Rossijskiaja Gaseta [über VPN – T. S.] den Ansatz seines Landes hinsichtlich des globalen Systemwandels. Zuvor hatte er bereits in einem anderen Interview vom selben Monat die afro-eurasische Großstrategie des Landes erläutert, die hier analysiert wurde. In seinem letzten Interview ging er auf die Notwendigkeit ein, die wirtschaftlichen Beziehungen der Entwicklungsländer mit dem Westen neu auszubalancieren, und warnte davor, sich von der „grünen Agenda“ in die Irre führen zu lassen.

In Bezug auf den ersten Punkt erinnerte er seinen Gesprächspartner daran, dass ein Großteil des westlichen Reichtums aus einseitigen Abkommen mit den Ländern des globalen Südens stammt, die durch Neokolonialismus ausgebeutet werden. So kamen beispielsweise nur 2,6 % der 2,5 Milliarden US-Dollar an US-Hilfe für Haiti nach dem Erdbeben 2010 bei den dortigen Unternehmen und Organisationen an, während der Rest in die Taschen amerikanischer Auftragnehmer floss. Eine weitere vernichtende Statistik, die er zitierte, ist, dass afrikanische Länder nur 10 % der Gewinne der globalen Kaffeeindustrie erhalten.

Der IWF und die WTO wurden vom Westen politisiert, um die Entwicklungsländer zu benachteiligen. Trotz gelegentlicher hochtrabender Rhetorik hat der Westen diese Institutionen noch nicht ernsthaft reformiert und wird dies auch nicht freiwillig tun. „Daher glauben sowohl wir als auch unsere Gleichgesinnten aus den Ländern der Weltmehrheit, dass es höchste Zeit ist, die Prinzipien und das Managementsystem der Bretton-Woods-Institutionen mit der realen Situation der Weltwirtschaft in Einklang zu bringen“, sagte er.

Lawrow fügte hinzu, dass „die ‚Sieben‘ (gemeint ist die G7) weniger als ein Drittel des weltweiten BIP ausmachen und die BRICS-Mitgliedsstaaten 36 Prozent“, was verdeutlicht, wie ungerecht alles geworden ist. Daraus wird deutlich, dass die BRICS- Staaten, einschließlich ihrer neuen Partnerländer, ihre Fähigkeiten bündeln und ihre Bemühungen koordinieren sollten, um die längst überfälligen institutionellen Reformen durchzuführen. Dieser Imperativ liefert einen Kontext dafür, warum Russland im September die Beziehungen zum IWF wieder aufnehmen wollte, wie hier erläutert wird.

Was den zweiten Teil des russischen Ansatzes für den globalen Systemwandel angeht, erklärte Lawrow, dass der globale Trend zu grüner Energie nicht auf Kosten von Investitionen in traditionelle Energien gehen dürfe, da dies zu „Schocks auf den Energiemärkten und einer Verschärfung des Problems der Energiearmut“ führen könne. Er deutete auch stark an, dass die vorherrschende Sichtweise zum Klimawandel unzutreffend sei und daher möglicherweise politisiert werde. Hier sind seine genauen Worte:

„Man unterstellt, dass CO2-Emissionen einen Treibhauseffekt erzeugen, der wiederum zur globalen Erwärmung führt. Man kommt zu dem Schluss, dass es bei einer Begrenzung der CO2-Emissionen zu keinem oder zumindest nicht so schnellen Temperaturanstieg kommen wird. Gleichzeitig müssen wir als Fachleute berücksichtigen, dass nicht alle Wissenschaftler solche Einschätzungen teilen.“

Es gibt auch eine ‚Denkschule‘, deren Vertreter anhand konkreter Fakten und sehr überzeugend darlegen, dass der Klimawandel ein zyklischer Prozess ist und daher die Bedeutung des anthropogenen Faktors in den Berechnungen der Befürworter des ‚Kampfes gegen den Klimawandel‘, gelinde gesagt, stark übertrieben ist.“

Er hat es nicht direkt gesagt, aber die Andeutung ist, dass der Westen die „grüne Agenda“ als Waffe einsetzt, sowohl als Teil eines Plans, um „das Problem der Energiearmut“ im globalen Süden durch höhere Kosten für herkömmliche Energie zu verschärfen, wie er zuvor gewarnt hatte, als auch als Kontrollinstrument im In- und Ausland. Zyniker könnten annehmen, dass Lawrow Hintergedanken hat, wenn er diesen Bedenken Glaubwürdigkeit verleiht, da Russland eine Energiesupermacht ist, was teilweise stimmen könnte, aber er will auch die Pläne seiner westlichen Rivalen durchkreuzen.

Um auf den ersten Teil seines Interviews zurückzukommen, in dem es um die Notwendigkeit für die Entwicklungsländer ging, ihre Wirtschaftsbeziehungen mit dem Westen neu auszubalancieren: Sein Angriff auf die „grüne Agenda“ fördert dieses Ziel, indem er diese Länder dazu bringt, es sich zweimal zu überlegen, ob sie den Forderungen ihrer Neokolonialisatoren in dieser Frage blind nachkommen. Diejenigen, die grüne Energie gegenüber traditioneller Energie bevorzugen, verzichten auf zuverlässigere Energiequellen, machen sich von unzuverlässigen abhängig und könnten sich damit selbst in eine Katastrophe stürzen.

Wenn unvorhersehbare Umweltveränderungen Probleme bei der Stromerzeugung aus Wind-, Solar- und Wasserkraft verursachen, nachdem Entwicklungsländer von diesen Quellen abhängig geworden sind, kann der Westen die Situation durch finanzielle Nothilfe und andere Formen der Hilfe ausnutzen, die an neokoloniale Auflagen geknüpft sind. Das würde diese Entwicklungsländer wieder auf Anfang zurückwerfen und alle bisherigen Fortschritte, die sie bei ihrer Befreiung vom Westen gemacht haben, sofort zunichte machen.

Daher ist es für sie viel besser, nur schrittweise auf grüne Energie umzusteigen und sich in der Zwischenzeit stärker auf Erdgas zu verlassen, das Russland ebenfalls im Überfluss hat und das Lawrow zu Recht als „den saubersten aller Kohlenwasserstoffe“ bezeichnete, statt einen radikalen Gangwechsel vorzunehmen, wie es der Westen will. Darüber hinaus wäre es auch klug, ihre Energieproduktion durch die Erzeugung von Kernenergie zu diversifizieren, bei der Russland ihnen auch helfen kann, wie hier erläutert wird. Dieses Portfolio wäre die wirksamste Absicherung gegen strategische Risiken.

Alles in allem sieht der von Lawrow ausgearbeitete russische Ansatz für den globalen Systemwandel vor, dass die Entwicklungsländer gemeinsam ihre bestehenden Finanzinstitute reformieren und gleichzeitig die neokoloniale Falle vermeiden, die ihnen der Westen mit seiner „Agenda für grüne Energie“ stellt. Das Erste wird dem Westen den Reichtum vorenthalten, den er aus den Entwicklungsländern zieht, und so ihren längst überfälligen Ausgleich beschleunigen, während das Zweite jede ernsthafte Umkehr der Fortschritte, die sie in dieser Hinsicht machen, verhindern wird.

Jede Verringerung des Einflusses und der Macht des Westens insgesamt, die durch die oben erwähnte Neuausrichtung herbeigeführt wird, wird Russland zugutekommen, da sie seine Rivalen schwächt. Entsprechend wird es für sie schwieriger, Russland zu destabilisieren, Stellvertreterkriege gegen das Land zu führen und seine afro-eurasische Großstrategie zu behindern. Was für den globalen Süden gut ist, ist daher natürlich auch gut für Russland, was sie füreinander gleichermaßen wichtig macht, und ein breiteres Bewusstsein dafür sollte dazu beitragen, ihre Beziehungen weiter auszubauen.

Ende der Übersetzung

Andreas Luczak: Deutschlands EnergiewendeDie deutsche Energiewende analysiert aus naturwissenschaftlicher Sicht Andreas Luczak in seinem Buch „Deutschlands Energiewende“

Andreas Luczak ist Professor für Regenerative Energien und hat als promovierter Physiker die gesamte Bandbreite der von der Energiewende betroffenen Industriebranchen in seinem Berufsleben miterlebt. Seit 2016 lehrt er an der Fachhochschule Kiel die Themen Klimawandel, Energiewende und Speichertechnologien.“


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Von Thomas Schulze

Mit den Beiträgen will ich helfen, anhand ausgewählter Beiträge besser zu verstehen, "was die Welt im Innersten zusammenhält"

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