Wirtschaftspolitik und Deindustrialisierung

Die Wirtschaftspolitik der Bundesregierung gefährdet weiterhin die finanzielle Sicherheit ihrer Bürger, meint der Ökonom Heiner Flassbeck.

Wirtschaftspolitik führt zu wirtschaftlichem Niedergang

In einem Interview mit der Wochenzeitung FREITAG kritisiert der Wirtschaftswissenschaftler Heiner Flassbeck die aktuelle bundesdeutsche Wirtschaftspolitik. Flassbeck ist ein scharfer Kritiker der neoliberalen Wirtschaftspolitik und Befürworter keynesianischer Ansätze. Er beschreibt die gegenwärtige Situation der Industrie als Ergebnis systematischer Fehlentscheidungen, insbesondere im Bereich der Finanz- und Investitionspolitik.

Nicht nur Wirtschaftskrise, sondern industrielle Katastrophe

Unter dem Titel „Unsere Industrie erlebt gerade eine Katastrophe“ bietet Flassbecks Analyse einen interessanten Einblick in seine Sicht auf die gegenwärtigen ökonomischen Krisen. Hauptsächlich hebt er die Wechselwirkung zwischen langfristiger wirtschaftlicher Entwicklung und der finanziellen Sicherheit für Investoren hervor. Die Widersprüche zwischen (kurzfristigen) Investoreninteressen und langfristiger Entwicklung verschärften die Krisen.

„Nur ein Beispiel: Der Auftragseingang im gesamten verarbeitenden Gewerbe geht seit zweieinhalb Jahren zurück. Das habe ich in meiner ganzen Laufbahn noch nicht erlebt. Beim Maschinenbau liegen die Auftragseingänge heute fast 20 Prozent unter dem Niveau von Anfang 2022. Auch die für die Zukunft absolut entscheidenden Ausrüstungsinvestitionen werden in diesem Jahr vermutlich um sieben Prozent einbrechen. Wissen Sie, wie man das früher genannt hätte? Eine schwere Rezession.“

Flassbeck betont, dass die kurzfristige Orientierung der Investoren und die Fixierung auf hohe Renditen auf Kosten der langfristigen wirtschaftlichen Entwicklung zu einer Art strukturellem Widerspruch führt. Dieser Widerspruch widerspiegelt den Antagonismus zwischen dem Interesse des Kapitals an schneller Profitmaximierung und der nachhaltigen Entwicklung der Produktionsbasis der Industrie. Investoren, die primär nach schneller finanzieller Sicherheit suchen, fördern oft Maßnahmen, die die industrielle Basis langfristig untergraben, wie etwa Sparmaßnahmen oder den Verzicht auf strategische Investitionen in Innovation und Infrastruktur.

Staatliche Verantwortung und das Paradox der Austeritätspolitik

Ein weiterer Punkt, den Flassbeck betont, ist die zerstörerische Wirkung von Austeritätspolitik auf die Wirtschaftsentwicklung. In diesem Interview hebt er erneut hervor, dass die Sparmaßnahmen der letzten Jahrzehnte, die oft im Namen der finanziellen Sicherheit und Stabilität durchgesetzt wurden, letztendlich das Gegenteil bewirken. Alternativ würden Maßnahmen makroökonomischer staatsmonopolistischer Regulierung anstelle willkürlicher Einzelmaßnahmen dem langfristigen wirtschaftlichen Niedergang und den verstärkten gesellschaftlichen Ungleichheiten entgegenwirken.

„Wieso fährt Olaf Scholz nach Papenburg, um zu verkünden, dass die Meyer Werft vom Staat gerettet wird, während andere still und leise den Bach runtergehen? Wir müssen endlich weg von dieser betriebswirtschaftlichen und hin zu einer makroökonomischen Perspektive.“

Klassen- und Machtverhältnisse

Flassbeck geht implizit auch auf die gesellschaftlichen Machtverhältnisse ein, wenn er über die wirtschaftlichen Interessen spricht, die hinter den politischen Entscheidungen stehen. Die wirtschaftlichen Interessen der herrschenden Klasse – insbesondere der Finanzelite – geraten zunehmend mit den langfristigen Bedürfnissen der arbeitenden Menschen und der Gesamtwirtschaft in Konflikt. Während die Finanzelite finanzielle Sicherheit in Form von kurzfristigen Gewinnen und Renditen anstrebt, sind die auf Erwerbstätigkeit angewiesenen Bürger an Arbeitsplatzsicherheit, existenzsichernden Löhnen und der Erhaltung der industriellen Produktionsbasis interessiert.

„Wir müssen jetzt fundamental umstellen. Der Staat muss investieren. In Brücken. In Gesundheitsvorsorge. In Infrastruktur. In Bildung. Dann haben die Leute auch wieder genug Geld in der Tasche, um sich vielleicht mal ein E-Auto zu kaufen.“

Heiner Flassbeck: Grundlagen einer relevanten ÖkonomikInsgesamt kommt in Flassbecks Argumentation die spezifische Sichtweise des Keynesianismus auf die Wechselbeziehungen zwischen wirtschaftlicher Entwicklung und finanzieller Sicherheit für Investoren in Einklang zum Ausdruck. Flassbeck zeigt auf, dass die kurzsichtigen Interessen der Investoren und die neoliberale Wirtschaftspolitik die langfristige Entwicklung der Industrie gefährden. Dabei verschärfen sich strukturelle Widersprüche. Durch diesen Fokus auf materielle Bedingungen und die Widersprüche in den Interessen verschiedener Klassen vermittelt Flassbeck ein Bild der wirtschaftlichen Krisen, die die Industrie derzeit erlebt. Damit hebt er sich deutlich von den Reden deutscher Politiker und den Darstellungen in den bestimmenden Medien ab.

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Von Thomas Schulze

Mit den Beiträgen will ich helfen, anhand ausgewählter Beiträge besser zu verstehen, "was die Welt im Innersten zusammenhält"

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